Mary Ocher: Das Textinterview

Was erzählen die anderen (Medien) so über Mary Ocher?
Die „Singer-Songwriterin“ (Wikipedia) ist eine „bunte und seltsame Außenseiterin“ (3Sat), die in ihrer Heimat Israel aneckte und deshalb nach Berlin kam, um dort der Welt mit ihren „schrillen, ironischen und eigenwilligen“ (taz) Tongeflechten (tAMtAM!) eine Musik zu schenken, die der RBB gleich mal in seine Rubrik „Stilbruch“ einsortiert.

Ganz schön viel auf einmal? tAMtAM hat Mary Ocher besucht und sie selbst reden lassen. Und wer Angst vor Bleiwüsten hat, findet hier ein besonderes Schmankerl: Marys Antworten in Bildern.

 

tAMtAM berlin: Warum Berlin?

Ocher: Ich wollte etwas komplett anderes finden. Nach Berlin kam ich, weil es mir viele Leute empfohlen hatten und weil ich viel Musik kannte, die von dort kam.
Natürlich wusste ich nicht, was mich erwartet. Ich kannte niemanden, ich hatte keine Ahnung, wie man sich verhält, ich wusste nicht einmal, wie schwer es sein würde, ein Aufenthalts-Visum zu bekommen. Man muss Geld auf der hohen Kante haben und man muss vertrauenswürdige Leute kennen.
Ich dachte erst, ich würde es nie schaffen, Israel zu verlassen und ich war sehr überrascht, dass es dann doch funktioniert hat.

tAMtAM berlin: Wie lang bist du jetzt hier?

Ocher: Seit etwa viereinhalb Jahren.

tAMtAM berlin: Hat sich Berlin verändert, seit du hierher gekommen bist?

Ocher: Seit ich hier bin sind die Mieten enorm gestiegen. Ich weiß, dass es sehr viel schwieriger geworden ist, einen Ort zu finden, wo man bleiben kann; die Leute suchen und suchen.
Vielleicht wird auch die Konkurrenz unter den Menschen größer. Wobei ich finde, dass alles hier noch immer sehr easy going ist, die Leute sind entspannt, leben vor sich hin. Es gibt keine Industrie, niemand verdient wirklich viel Geld. Die Amateur-Szene ist noch immer sehr groß: Das sind Leute, die sich nicht übermäßig anstrengen, weil sie darauf keine Lust haben – sie machen das einfach zum Spaß. Was gleichzeitig auch problematisch ist; ich mag Leute lieber, die extrem gut sind in dem, was sie tun.

tAMtAM berlin: Woher kommen die Inspirationen für deine Musik – von der Stadt, von Dingen, die du erlebst?

Ocher: Ich benutze für meine Musik alles, was ich in die Finger bekomme. Das kann ein Instrument sein, oder etwas, was ich in einer Zeitung gelesen habe. Oder ein Traum, den ich hatte. Das zumindest klingt sehr naheliegend. Normalerweise erinnere ich mich allerdings nicht an meine Träume. Nur gestern Nacht hatte ich sechs verschiedene Träume, die waren so verstrickt, dass ich morgens aufwachte und sie noch wusste.

tAMtAM berlin: Gehst du nach einer bestimmten Reihenfolge vor, wenn du deine Songs schreibst? Hast du ein System, um alles zusammenzubringen, zum Beispiel erst den Text zu schreiben oder mit ein paar Harmonien zu beginnen?

Ocher: Ich versuche immer, verschiedene Strategien zu kombinieren. Entweder beginne ich damit, eine Akkordfolge zu schreiben und improvisiere dann Texte darauf. Ich versuche dann, meinem Gesang einen Sinn zu geben und nehme diese frühen Versionen ständig auf, um zu hören, wie es rüberkommt.
Manchmal fange ich aber auch mit dem Text an und versuche ihn mit Akkordfolgen zusammenzubringen. Erst danach kommt dann die richtige Melodie.
Bei anderen Songs beginne ich aber auch damit, etwas auf dem Computer zu komponieren und füge dann erst nachher andere Instrumente und Gesang hinzu.

Im Moment arbeite ich an elektronischen Beats für King Khans HipHop-Projekt. Das ist dann natürlich wieder eine ganz andere Prozedur. Ich fange mit einem kleinen Beat-Schnipsel an und kombiniere ihn mit anderen, bis schließlich dieser riesige Electro-Drum-Track daraus wird. Auf den kommt dann wieder eine neue Ebene mit Beats und eine Ebene mit Synthesizern, Ebene um Ebene um Ebene um Ebene..

tAMtAM berlin: Wie bei einem Puzzle?

Ocher: Ja, du fügst immer neue Teile hinzu, aber du kennst natürlich nicht das gesamte, ultimative Bild, das gibt es ja noch nicht. Du probierst aus und irgendetwas passt dann.

tAMtAM berlin: Wann und wie bist du zur Musik gekommen?

Ocher: Ich glaube, ich habe damit angefangen weil ich besessen von der Idee war, auf einer Bühne zu stehen. Das hatte nicht zwangsläufig mit Musik zu tun, ich hatte vorher einen Haufen anderer Ideen, die irgendwie kreativ waren und auf einer Bühne stattfanden.

Mit etwa 11 habe ich dann angefangen, Musik zu machen. Ich habe meinen Gesang auf Kassette aufgenommen, ohne Instrumente. Diese Songs waren wahnsinnig naiv, sie handelten vom Frieden. Ich habe die Texte vor ein paar Jahren wieder gelesen und realisiert, wie dumm und naiv sie tatsächlich waren.

tAMtAM berlin: Vielleicht waren sie einfach nur ehrlich?

Ocher: Ich denke das waren sie, ja. Die professionellste Aufnahme habe ich von einem Song, den ich geschrieben habe, als ich etwa 14 war. Ich habe ihn zusammen mit eine Produzenten aufgenommen, der später als Pop-Weltmusik-Producer bekannt wurde. Ich habe aber eine komplett andere Musik gemacht. Der Typ ist inzwischen sehr kommerziell geworden und seine Musik ist ziemlich peinlich.
Ich habe diesen Song für einen Wettbewerb gemacht. Gewonnen habe ich nichts.

tAMtAM berlin: War das hart für dich oder hast du das damals gar nicht so wahrgenommen?

Ocher: Oh doch, das war hart für mich, ich wollte unbedingt den ersten Preis gewinnen. Über Jahre habe ich nichts gewonnen und schließlich habe ich mich so daran gewöhnt, immer aussortiert zu werden, dass ich zu glauben begann, dass es wahrscheinlich niemals passieren würde.

tAMtAM berlin: Denkst du das noch immer?

Ocher: Keine Ahnung, aber ich kann immerhin meine Miete und meine Krankenversicherung bezahlen. Ich lebe von der Musik, die ich mache.

tAMtAM berlin: Und wie machst du das konkret, wie hast du angefangen, hier in Berlin Geld zu verdienen?

Ocher: Ich hatte vorher nie einen wirklichen Job, ich habe vor Berlin also nie meine Miete zahlen können. Das begann erst hier. Manchmal spiele ich heute noch auf der Straße, weil es mir Spaß macht. Aber damit verdiene ich nicht viel.
Das meiste Geld verdiene ich mit Konzerten auf Festivals und in Clubs. Ich lege auch manchmal auf, aber für die Live-Shows bekomme ich mehr.

tAMtAM berlin: Wieso das?

Ocher: Ich bin kein Techno-DJ, das was ich mache ist mehr für ein Nischenpublikum. Ich lege meist in Bars auf und die Musik die ich spiele, ist eher eine Mischung aus 60er-Pop, Garage, Psychedelic und früher elektronischer Musik. Das ist kein Mainstream. Ich finde auch oft obskure afrikanische Aufnahmen aus den 50er- und 60er-Jahren, die ich einarbeite. Da muss man sich schon dran gewöhnen.

tAMtAM berlin: Hast du besondere Ziele mit deiner Arbeit, möchtest du etwas Bestimmtes erreichen?

Ocher: Zuallererst will ich mein zweites Album auf einem größeren Label herausbringen, um Menschen auch außerhalb von Deutschland zu erreichen. Eine Booking-Agentur wäre auch gut, bislang haben mich alle abgelehnt, weil sie nicht wissen, in welche Schublade sie mich stecken sollen.

tAMtAM berlin: Wie würdest du denn deine Musik einordnen?

Ocher: Sie besteht aus so vielen Dingen, ich kann sie nicht auf etwas Bestimmtes festschreiben.

tAMtAM berlin: Was soll sie sein, deine Musik?

Ocher: Ich will die Leute neugierig machen, damit sie sich andere Dinge anhören. Sie sollen nicht nur auf ein Genre fixiert sein.
Mein erstes Album war eine Mischung aus Folk und Garage, es gab aber auch eine Piano-Ballade, die ein bisschen Avantgarde-Pop war.
Das zweite Album hat drei Ambient-Tracks, es gibt ein Krautrock-Dings, etwas in der Art eines Elektro-70er-Hardrock-… Genres. Außerdem ist ein House-Song darauf, ein No-Wave-Song, ein paar Disco-Sachen.. Klingt ziemlich konfus.

tAMtAM berlin: Hast du denn einen bestimmten Stil oder willst du gar keinen?

Ocher: Ich experimentiere mit Instrumenten und meiner Stimme, das ist das Einzige, was für jeden Song gilt.

tAMtAM berlin: Welche Instrumente spielst du denn?

Ocher: Alle, die ich bekommen kann. Ich habe Synthesizer, Keyboards, eine akustische und eine elektrische Gitarre, ich spiele Tamburin und wenn ein Klavier da ist, spiele ich auch Klavier. Oder auf Streichinstrumenten, wenn ich welche finde.

tAMtAM berlin: Hast du je Unterricht genommen?

Ocher: Ich habe nur Blockflöte gespielt, was ich immer gehasst habe. Obwohl ich ziemlich gut darin bin, ich musste jahrelang üben. Meine Eltern wollten mich damit zu Wettbewerben schicken.

tAMtAM berlin: Klingt anstrengend.

Ocher: War alles sehr seriös.

tAMtAM berlin: Interessierst du dich für deutsche Politik, beispielsweise für die Stadtentwicklung in Berlin?

Ocher: Ich habe sehr viel über Gentrifizierung gehört – vor allem, weil ich ein Teil von ihr bin. Mich beschäftigt jedoch mehr, dass Menschen aufgrund von ihrer Ethnizität oder ihres Geschlechts diskriminiert werden. Ich bin also weniger der Politik eines bestimmten Landes verbunden.

tAMtAM berlin: Wenn du Deutschland mit anderen Ländern vergleichst, wie würdest du den Rhythmus des Lebens hier beschreiben?

Ocher: Ich habe Russland mit vier verlassen (um mit ihrer Familie nach Israel zu ziehen, Anm. tAMtAM) und erinnere mich an nichts mehr. Ich bin zwar zweimal dorthin zurückgekommen, als ich älter war, aber es war vollkommen anders als alles in meiner frühen Kindheit. Ich habe festgestellt, dass die osteuropäischen Länder immer noch nicht in der Lage sind, den Kapitalismus zu kritisieren. Die Leute da finden ihn toll, es scheint, als seien sie besessen von Marken; davon, Dinge zu kaufen, die es vorher nicht gab. Normale Leute, vom Kleinkind bis zum Businessmenschen, alle sitzen bei McDonald’s weil sie denken, dass das cool ist. Das ist ein sehr großer Unterschied zwischen Ost- und Westeuropa.

Deutschland ist ein sehr soziales Land. Du kannst überleben, auch wenn du nicht arbeitest, du bekommst viel Hilfe vom Staat. In vielen anderen Ländern wie den USA oder Israel ist das nicht so – wenn du da nicht arbeitest, kannst du deine Miete nicht bezahlen. Dann bist du heimatlos, weil der Staat dich nicht schützt. Das ist sehr kalt, sehr kapitalistisch. Jeder muss für sich selbst kämpfen.

tAMtAM berlin: Warum hast du Israel verlassen?

Ocher: Ich bin gegangen, weil ich auf offener Straße mit Fremden Diskussionen über die Kriegssituation hatte. Es gibt viel Propaganda. Die Leute denken, sie seien besser als jene, die mit einer anderen Nationalität geboren wurden. Das ist so tief in diesem Land verwurzelt, ich finde das ekelhaft. Ich will nicht an diesem Ort leben und dieses System unterstützen.
In Tel Aviv, wo ich die meiste Zeit gelebt habe, musst du für jeden Job, den du haben willst, über dein Privatleben reden. Über deine Weltanschauung. Sie fragen dich, ob du zur Armee gegangen bist.

tAMtAM berlin: Und du bist nicht gegangen.

Ocher: Nein, ich bin nicht gegangen.

tAMtAM berlin: Ist es schwierig, in Israel den Militärdienst zu verweigern?

Ocher: Es ist vor allem schwierig, weil du deinen Ruf verlierst. Du findest danach keinen Job mehr, denn bei einer Bewerbung wirst du danach gefragt und zur Armee zu gehen ist eine Frage des Nationalstolzes. Bist du also ein Gegner oder ein Unterstützer?
Ich kenne viele Leute, die deshalb ins Gefängnis mussten. Du kannst nur als Frau „einfach so“ verweigern. Als Mann musst du ins Gefängnis, es sei denn du erklärst, dass du verrückt bist.
In jedem Fall hast du ein riesiges Problem.

tAMtAM berlin: Mögen sie in Israel deine Musik?

Ocher: Sie erreicht sie nicht.

tAMtAM berlin: Danke dir für das Gespräch!

 

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