Krieg und Frieden. (Theatertreffen)

Es ist Vatertag, als tAMtAM sich aufmacht zu seinem ersten Theatertreffen-Treffen überhaupt. Vatertag meint Papa, nicht Gottvater; der Vatertag ist ein Papa-trinkt-Bier- bzw. Alle-nicht-Papas-trinken-auch-Bier-Tag. Außer für die paar hundert Menschlein, die sich zwischen einem Regenschauer vor der Berliner Volksbühne versammeln, am hellichten Nachmittag um 16 Uhr. „Krieg und Frieden“ von Regisseur Sebastian Hartmann hat die Jury des Theatertreffens am Leipziger Centraltheater eingesammelt, ein fünfeinhalbstündiges Monstrum (tAMtAM liest angstvoll und immer wieder: „Aufführungsdauer: ca. 5 Stunden, 2 Pausen“) nach dem Roman von Tolstoi, der im Original das Leben und Leiden von gut 250 Personen schildert. Au weia.

Sebastian Hartmann, auch verantwortlich für die Bühnenfassung, musste da natürlich notgedrungen ein bisschen herumschnipseln. 14 Schauspieler hat er, im Programmheft äußert er sich folgendermaßen:
(tAMtAM zitiert Programmhefte eigentlich nie, weil das so uninspiriert rüberkommt; hatte aber heute die Vision eines traurigen Dramaturgen, der endlich Wertschätzung für seine Arbeit erfahren möchte und macht deshalb eine große Ausnahme. Ehrlich wahr!!)

„Weder gibt es in dieser Spielfassung durchgehende Rollen, noch eine einheitliche, durchgehende Erzählung.“
(Klingt nach experimentellem, postdramatischem Theater. Ambitioniert, aber unrezipierbar.)

„Aufgelöst sind auch teilweise die Geschlechterzuweisungen. Sowohl Männer als auch Frauen können vom jeweils anderen Geschlecht dargestellt werden.“
(tAMtAM fragt sich auch Tage später noch: Warum? Damit es besser kalauert?)

„Auch der Ort ist zunächst abstrakt. Zwei Platten, zwei Pole, zwischen denen alles spielt.“
(Anmerkung für den geneigten Besucher: Das Bühnenbild bleibt auch abstrakt, es sei denn man wertet die 3D-Videospiel-Simulation am Schluss als konkreten Ort. Barocke Fluchtpunkt-Fantasien oder russische Birkenhaine findet man aber auch darin nicht.)

Zugegebenermaßen provoziert diese Ausgangssituation einen Drang hin zu den Bier-trinkenden Papas. tAMtAM widersteht ihm und kommt zu der Erkenntnis: In fünf Stunden kann man sehr viele gute und auch sehr viele schrottige Ideen ausprobieren.
(Es folgt eine kleine Auswahl.)

GUT WAR:

  • Das Bühnenbild mit einer riesigen Platte auf einer Hydraulik, die zusammen mit dem riesigen LED-Screen im Schnürboden beständig ihre Position veränderte. Innerhalb von Sekunden entstand eine komplett neue Welt. Fand tAMtAM super (andere Zuschauer nicht).
  • Die Musik von Sascha Ring (aka Apparat), die in der Volksbühne leider gequetscht links vor der Bühnenrampe platziert war und deshalb ein bisschen unterging. Warum allerdings gesungen wurde (außer weil an dieser Stelle ein Lied halt stimmungstechnisch ganz gut passte), hat tAMtAM nicht kapiert.
  • Die Intensität der Schauspieler. (Ziemlich oft.)
  • Die reduzierte Umsetzung eines Stoffes, der eigentlich von der Überfülle lebt.

EHER SCHROTTIG WAR:

  • Der letzte Teil nach der zweiten Pause. Es ist bestimmt eine gute Idee, einen tendenziell eher tragisch-melodramatischen Stoff in die Komik zu überführen, aber die Umsetzung wirkte auf tAMtAM ein bisschen so, als sei da nicht mehr so viel Zeit zum Proben gewesen.
  • Dieses gezwungene Wir-binden-jetzt-das-Publikum-ein-und-beziehen-den-Stoff-auf-was-Aktuelles am Ende. Sowohl die Schauspieler als auch die Zuschauer waren dabei eher verklemmt-bemüht. Schade.
  • Die Tendenz, mit dem Ende des Stückes die guten Ideen, die noch nicht rausgehauen wurden, einfach mal so zu bringen. tAMtAM fand dieses 3D-Videospiel-Gefrickel wirklich einen super Effekt – allen wurde ganz schummerig, als sie da durch irgendwelche Comic-Gänge rasten, mit fliegenden Särgen und Babys, die in der Luft geboren wurden. Nur.. was war dabei der Bezug zu Krieg und Frieden? Leben und Tod?
    Ist das nicht vielleicht ein kleines bisschen zu allgemein gedacht?

Bilanz des Abends: Mit jeder Pause kommen weniger Leute zurück, beim Schlussapplaus sitzt noch gut die Hälfte da. Guter Nebeneffekt: Das nächste Zwei-Stunden-Stück ist für den nun erprobten Langstrecken-Theaterbesucher ratzfatz vorüber; wo man früher Längen empfunden hat, fühlt sich das nun an wie ein kurzes Zwischenspiel.
Man wird/bleibt friedlich. Und das ohne Bier.

krieg_frieden

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